Kategorie-Archiv: Quergestellt

Geist & Macht

– 18.02.2011 – Der Verteidigungsminister verhält sich genau so, wie der erfahrene Rechtsanwalt bei Entdeckung einer möglichen Regelwidrigkeit empfiehlt: Den Plagiatsvorwurf energisch zurückwiesen und andeuten, dass vielleicht Missverständnisse den Eindruck hervorrufen, dass bei der Doktorarbeit etwas schief gelaufen sei. Damit der Fleck auf der weißen Weste nicht zu große wird, den Titel – als ein kleines Zugeständnis an die Gegenseite – vorübergehend auf Eis gelegt. Das wars. Vielleicht kurz noch ein wehmütiger Gedanke an die akademischen Meriten, die so gut zur Karriereplanung und zum Adelstitel passen – aber den kann ja nicht einmal ein Gericht streichen.

Warum ein erfolgreicher Politiker die akademische Zierde sucht und dabei darauf verfällt, eine wissenschaftliche Arbeit mit fremden Gedankengut ohne Quellenangabe praktisch nebenbei zu verfassen, ist seltsam. Entweder hält der Mann wissenschaftliches Nachforschen und Analysieren ohnehin für überflüssig, weil es nur Zeit kostet und – außer dem Titel – nichts Verwertbares für den Job einbringt. Oder er braucht Argumentationshilfe, die es schnell und seitenfüllend per Mausklick im Internet gibt. Vielleicht gehört so ein Vorgehen zur Pragmatik eines vielbeschäftigten Leistungsträgers, der es gewohnt ist Aufgaben zu delegieren und sich die gewünschten Resultate auf den Schreibtisch legen zu lassen, auch wenn sie manchmal etwas spät eintrudeln, wie beim Luftschlag des Oberst Klein nahe Kundus.

Zweifel an den intellektuellen Fähigkeiten des Freiherrn Karl-Theodor zu Guttenberg indes  sind aus der Luft gegriffen. Das entkräftet einmal der Lebenslauf, der zwar gradlinig aber nicht ganz ohne Stolpersteine direkt in die Führungsetage der Republik führt. Zum anderen ist der Terminplan des Außenministers sehr eng beschnitten, so dass der ruhigen Entfaltung wissenschaftlicher Gedanken und schlüssiger Argumentationslinien neben dem aufreibenden Alltagsgeschäft schlicht die Zeit fehlt. Der Dienst am Vaterland und das richtige Timing für die Einsatzbefehle der Truppe degradiert doch eine Dissertation, bei allem Respekt, zur schöngeistigen Sonntagsübung.

Schwerwiegender ist die Stellung zum wissenschaftlichen Arbeiten und der Verbindung von Geist und Macht. Offenbar schätzt der Amtsinhaber im Verteidigungsministerium am Wissenschaftsbetrieb eines: die Strahlkraft eines professoral beglaubigten Ehrentitels. Auf akademisches Wissen kommt es in der Politik nicht an, wie die Süddeutsche Zeitung bemerkt. Das heisst nicht, dass Machtinhaber nicht denken. Im Gegenteil, sie analysieren die Lage, bewerten die vorhandenen Mittel und entscheiden ganz praktisch. Hier geht’s lang, dort wollen wir hin, jetzt aber los. Dafür ist eigentlich nicht mal ein Abitur erforderlich. Trotzdem schmücken sich gern eine ganze Reihe von Politikern mit den Weihen einer Universitätsausbildung. Offenbar fühlt sich in der politischen Arena mancher wohler, wenn er beim Erklimmen der Karriereleiter ein Uni-Zertifikat in der Schublade hat – egal wie man es kriegen kann.

Als pikanter Nebeneffekt des ministeriellen Vorgehens ist die Universität Bayreuth selbst in die Löwengrube gefallen. Die Professoren zeichnen die Arbeit des Freiherrn mit einem „summa cum laude“ aus und adeln damit gleich Textpassagen mit, die aus Zeitungen oder einem Reiseführer stammen. Wissenschaft auf der Höhe der Zeit oder Qualitätsverlust bei der geistigen Elite?

Aufstand – Risse im Ich

Da haben sich französische Oppositionelle schwer ins Zeug gelegt und eine Schrift vorgelegt, die kein gutes Haar an der gegenwärtigen Ordnung lässt. Die unbekannten Schreiber kommen zu einem vernichtenden Urteil: „Das Erhalten des Ich in einem Zustand permanenten Halb-Verfalls, chronischer Halb-Ohnmacht ist das bestgehütete Geheimnis der aktuellen Ordnung der Dinge.“ Die Autoren des französischen Buches „Der kommende Aufstand“ nehmen kein Blatt vor den Mund, wenn sie an allen Ecken und Enden der Gesellschaft immer dieselben zerstörerischen Kräfte am Werk sehen. Es geht gegen die Menschen, die in Verhältnisse gezwungen werden, die nichts mehr von ihrer ursprünglichen Identität übrig lassen. Die ganze bürgerliche Welt ist zu einer grotesken Eismumie erstarrt, ein „leerer Raum, eiskalt, nur noch durchquert von registrierten Körpern, automobilen Molekülen und idealen Waren.“

Postmodern aber ausweglos
Natürlich sind das Worte, die einem gut geerdeten Mitglied der Gesellschaft niemals über die Lippen kommen. Es ist der Blickwinkel von Kritikern, die der linksmilitanten Szene entstammen, wie Nils Minkmar Redakteur im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung bemerkt, allerdings um dem offen aufständischen Charakter der militanten Prosa eine gewisse Nähe zum Zeitgeist zu bescheinigen: „Auch in „Der kommende Aufstand“ geht es um die Ausweglosigkeit eines immer subtiler operierenden kapitalistischen Systems, um die „Ausweitung der Kampfzone“: von den Schlachtfeldern und den Märkten ins Private, Körperliche und Intime, um die Kolonisierung von Gedanken, Gefühlen und Genüssen durch den postmodernen Kapitalismus.“

Die Aufständischen in Frankreich halten sich indes nicht lange beim postmodernen Kapitalismus auf. Sie haben ganz andere Bilder vor Augen, als das Hin und Her beim Geschäftemachen oder die staatlichen Rettungsmaßnahmen zur Stabilisierung der Währung. Für sie ist die ganze Gesellschaft ein monströser Verführungsapparat, der mit Zuckerbrot und Peitsche heftig wütet und jeden lebensfreudigen Mitmenschen seiner ureigenen Bedürfnisse beraubt. Die Folge ist ein moderner Bourgeois, der lediglich eine blutleere Hülse repräsentiert, gut durchgestylt und pflegeleicht, ein fremdgelenktes Mainstream-Wesen eben, das macht, was es soll. Das kann doch nicht gut gehen, ahnt jeder Leser – sowohl für den Einzelnen, der merkt, dass er seinen inneren Zusammenhalt verliert und für jene scheinbar obsiegenden Kräfte, die jene menschliche Existenz zerstören, auf die sie angewisesen sind, von der sie ganz gut leben.

Atomisiert aber bei guter Laune
Allerdings sieht es auf der Gewinnerseite in den Augen der französischen Gesellschaftstkritiker überraschenderweise auch sehr öde aus. Die Autoren sind felsenfest überzeugt davon, dass den bestehenden Institutionen und dominierenden Eliten eine selbstzerstörerische Tendenz innewohnt, die dem Leidensdruck der geknechteten Seite ausgesetzt, aber nicht gewachsen ist. Im Text heisst es unmißverständlich: „Diese Gesellschaft wird bald nur noch durch die Spannung zwischen allen sozialen Atomen in Richtung einer illusorischen Heilung zusammengehalten. Sie ist ein Werk, das seine Kraft aus einem gigantischen Staudamm von Tränen zieht, der ständig kurz vor dem Überlaufen ist.“ Schön gesagt, aber sehr bemüht. Denn die Gesellschaft atomisiert jeden soweit, dass er vielleicht Risse in seinem Ich bekommt, aber in den meisten Fällen realitätstüchtig bleibt, seinen Job erledigt, Frau oder Mann samt Kinder so weit es geht bei Laune hält, seine Steuern bezahlt und nach dem nächsten Karrieresprung Ausschau hält.

Dennoch nimmt die Geschichte eine andere Wendung als erwartet: Es ist nämlich nicht die mangelnde Integrationsfähigkeit des aufschreienden, weil geschundenen Ichs sondern im Gegenteil: Die perfekte Einbindung in das Hamsterrad von Produktion, Werbung, Herrschaft und Zynismus, die den Keim der Rebellion enthält. Die Leute merken, dass mächtige Bevölkerungsgruppen sich in einer Art Kriegszustand befinden mit dem Ziel, anderen Bevölkerungsteilen den letzten Rest an Lebensfreude zu nehmen. Als Beleg listen die Autoren etwas unscharf so ziemlich jeden und alles auf, was sie als tragendes Element der etablierten Verhältnisse ansehen. Damit ist eigentlich klar, das es nur einen Ausweg gibt: Im Aufstand findet das entkräftete und angepasste Ich wieder zu sich selbst und befördert das ohnehin absterbende Bürgertum mit einem letzten Tritt in die Recyclinganlagen der Geschichte.

Revolutionäre Wurzeln
Manche Passage in dem Buch liest sich wie die leidenschaftlichen Aufrufe eines Robespierre, Morelly oder des Volkstribuns Babeuf, der noch 1797 beim Gang zur Guillotine mit Inbrust verkündete: „Ich bleibe bei der Behauptung, die Revolution ist noch nicht durchgeführt.“ In anderen Passagen beschwören die Autoren die aufkeimende Subversion aus den sozialien Bewegungen, den Bonlieus und der großen Zahl an Arbeitslosen und Sozialhilfeempfängern. Das eigentliche Kraftzentrum des kommenden Aufstandes aber liegt im Zerfallsprozess der vorherrschenden Verhältnisse: „Es gibt keinen Grund mehr zu warten – auf eine Aufheiterung, die Revolution, die atomare Apokalypse oder eine soziale Bewegung. Noch zu warten ist Wahnsinn. Die Katastrophe ist nicht, was kommt, sondern was da ist. Wir verorten uns bereits jetzt in der Bewegung des Zusammenbruchs einer Zivilisation.“

Babeuf, der Weitermachen wollte, der die Revolution in Frankreich zu einem glücklichen Ende für alle – und nicht für eine neue Klasse an Profiteuren und Geldsäcken, wie er stets betonte – führen wollte, wurde einfach einen Kopf kürzer gemacht. Damit war es vorbei damit, was die Aktivisten und Volkstribunen der Jahre 1789 ff. nicht nur einmal geschworen haben, als sie in Paris und anderswo das Ancien Regime aus den Angeln hoben: „Wiederholen wir es nocheinmal. Das Leid hat seinen Gipfel erreicht; es kann nicht mehr schlimmer werden; es kann nur noch durch eine totale Umwälzung geheilt werden!“ Das Zitat stammt aus dem Jahr 1795. Es war die Geburtsstunde der bürgerlichen Gesellschaft.

Wer glaubt wird seelig

An Erfolg glauben die meisten Menschen. Das Volk läßt sich auch gern von seinen Politikern umschmeicheln, wenn diese ihre Sonntagsreden halten. Optimismus verordnet die neue Bundesregierung bei jedem Fernsehauftritt ihrer Vertreter. Deutschland strotzt vor Chancen, buchstabiert die Kanzlerin ins Mikrofon. Wirtschaftswachstum prognostizieren die Institute, und Wirtschaftswachstum wird es geben, wenn die Bürger und Bürgerinnen ihr Herz für Leistung endlich öffnen und mitmachen. Vor allem bei den anberaumten Reformen und den Verhaltensanweisungen der Industrieverbände und einschlägigen Nationalökonomen. Der Glaube schafft Arbeitsplätze, sichert Wohlstand und spendet Trost – auch wenn die Wirklichkeit anderes lehrt.

Wie Glaube Berge versetzt, hat die IT-Branche vor wenigen Jahren unter Beweis gestellt. Mutige Newcomer haben den glaubensorientierten Optimismus sehr gekonnt eingesetzt, um sich zur Galionsfigur des Fortschritts und der Innovation zu erheben. Große Teile der Bevölkerung standen im Bann der New Economy und haben großzügig Teile ihres Gehalts in Aktien investiert, die bei nüchterner Betrachtung nicht einmal die Bezeichnung Wagniskapital verdienten. Aber auch ehrwürdige Konzerne wie die Deutsche Telekom versprühten plötzlich eine Aura des „Alles ist Machbar“, so daß selbst bei konservativen Anlegern die Dämme brachen. Professionelle Marketingstrategen haben die Gunst der Stunde erkannt und die Sache in die Hand genommen. Dem Verkauf von Kühlschränken nach Grönland stand nichts mehr im Wege.

Es ist ein in der Natur des Menschen eingemeißelter Wesenszug, analysiert Martin Urban in seinem jüngsten Buch „Warum der Mensch glaubt. Von der Suche nach dem Sinn.“ Der ehemalige Leiter des Wissenschaftsressorts der „Süddeutschen Zeitung“ folgt den Hirnforschern, die in der Natur des menschlichen Denkorgans den Think Tank zur Weltdeutung sehen. Die evolutionsbedingte Verankerung des Glaubens im Stammhirn des Menschen liegt an der Tatsache, daß der Mensch gleich nach der Abspaltung vom Ahnherrn Affen nach Ursachen all der erstaunlichen (und gefährlichen) Naturphänomene um ihn herum sucht. Er betätigt also seinen Verstand, den er im Laufe der Jahrtausende immer besser zu nutzen versteht. Soweit leuchten die Ausführungen von Martin Urban ein. Was stutzig macht, ist der Gedanke, daß damit der Glaube als Antwort auf das Deutungsbedürfnis für immer und ewig im Bewußtsein der Menschheit seinen Platz gefunden hat.

Schon jeder antike Denker belegt, daß die Ursachenforschung ganz andere Wege nehmen kann. Die Verstandesbetätigung der Mathematiker hat zu beweisbaren Sätzen geführt. In der Folge haben Naturforscher Schritt für Schritt Erkenntnisse auf den Tisch gelegt, die zu einem aufgeklärten Naturbild geführt haben. Selbst wenn die Newtonsche Mechanik im heute zugänglichen Nanokosmos wegen der Quanteneffekte nicht gilt, ändert das nichts an deren Geltung im praktischen Umfeld der greifbaren Welt. Der Verstand ist durchaus in der Lage, zwischen Einbildung und Wirklichkeit zu unterscheiden und tut das ja ständig.

So gesehen lichtet sich das Rätsel um den Glauben im aufgeklärten Heute zumindest in einer Hinsicht. Während die Frage nach Gründen eine weitverzweigte Wissenslandschaft mit zum Teil sehr praktischen Kenntnissen über Physik, Biologie, Chemie hervorgebracht hat, nutzen weniger wissenschaftsinteressierte Menschen ihren Verstand offenbar auch dazu, nach letzten Gründen und dem Sinn von allem Ausschau zu halten. Die Popularität des Unfaßbaren nimmt seinen Lauf und endet in jenen biblischen Bildern, die verheißungsvoll und nicht unmodern der Leere ein Sein zur Seite stellen. Für diesen Trost scheinen auch moderne Menschen im Hier und Jetzt anfällig zu sein.