Monatsarchiv: April 2013

Algorithmic Trading – Wenn die Computer den Börsenkurs austricksen

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16.04.2013  –  Mehr als 40 Prozent aller Börsentransaktionen in Deutschland laufen über die Computer von Hochfrequenzhändlern – Tendenz steigend. Mit dem automatisierten Wertpapierhandel wächst die Gefahr unerwarteter Kursausschläge und kaum nachvollziehbarer Kursmanipulationen. Strengere Regularien der Handelsplattformen sollen den Missbrauch eindämmen.

Den Tag dürfte Thomas Joyce, Chef der Wall-Street-Firma Knight Capital, so schnell nicht vergessen: Am 1. August diesen Jahres verzeichnete der US-Börsendienstleister innerhalb von 45 Minuten einen Verlust von 440 Millionen US-Dollar. Am Tag zuvor hatten Softwarespezialisten ein neues Handelsprogramm installiert. Die Computersoftware lancierte an der New Yorker Börse automatisch Aktienorder in Milliardenhöhe ohne Kaufpreis und Werthaltigkeit der Papiere zu prüfen.

Es ist nicht das erste Mal, dass Computerprogramme verrückt spielen und das Börsengeschehen beeinflussen. Auf allen wichtigen Handelsplätzen weltweit agieren Wertpapierhändler, die ihre Kauf- und Verkauforders algorithmisch berechnen und möglichst verzögerungsfrei in die Börsensysteme einspeisen. Die Akteure sind Mitarbeiter von Hedgefonds und Investmentbanken wie Goldmann Sachs, Merrill Lynch, UBS oder Deutsche Bank sowie mehrere an den Börsenplätzen akkreditierte Händler kleinerer Häuser.

Während die herkömmliche Computerbörse lediglich passende Kauf- und Verkaufsorder verknüpft und damit den Anweisungen des Parketts folgt, geht es beim algorithmisch berechneten Trading um automatisierte Entscheidungsprozesse. Es gibt keinen Händler mehr, der eingreift.

Und es geht um Geschwindigkeit. Eine auf Schnelligkeit programmierte Software löst im so genannten High Frequency Trading (HFT) 40 000 Kauf- und Verkaufsangebote pro Sekunde aus. Der Rekord solcher sogenannten Quotes liegt derzeit nach Angaben von Joachim Nagel, Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbank, bei 47.138 Orders in einer Sekunde – ein HFT-Computer hat das bei der US-Aktie PSS World Medical im April diesen Jahres geschafft.

Schnelle Netze, schneller Gewinn

Durch das Hochtakten der Handelsplattformen beschleunigt sich das Börsengeschehen um ein Vielfaches. In Bruchteilen von Sekunden analysieren die Computeralgorithmen große Mengen an Daten und initiieren Kauf oder Verkauf eines Assets. Ziel des Algorithmic Trading ist das Aufspüren kleinster Kursdifferenzen, um durch schnelle Orderausführung mit geringen Transaktionskosten Arbitrage-Gewinne zu realisieren.

Nach Auskunft von Nagel hat die HFT-Branche Aufwind, denn es rechnet sich. Beispielsweise sollen über ein neues Atlantikkabel zwischen London und Halifax im kommenden Jahr ausschließlich Finanzdaten und Kursinformationen fließen. Die Transaktionszeit über den 6.000 Kilometer langen Weg beträgt 59 Millisekunden – das sind sechs Millisekunden weniger als über die bisherigen Kontinentleitungen. Trotz immenser Projektkosten von 300 Millionen US-Dollar und deutlich höheren Kabelgebühren beschert die niedrigere Netzlatenz den High-Frequency-Tradern neues Renditepotential: „Laut Schätzungen in der HFT-Branche generiert jede Millisekunde, um die ein großer HFT-Akteur schneller ist als seine Konkurrenz, pro Jahr mehrere Dutzend Millionen US-Dollar zusätzlichen Gewinn“, sagt Nagel auf der diesjährigen TradeTech DACH Konferenz in Frankfurt.

Marktverzerrung durch Millisekunden-Takt

Welche Gefahren für die korrekte Orderabwicklung von Algo-Tradern auf den Handelsplätzen ausgehen, darüber sind sich Fachleute indes nicht einig. Kritik kommt von Aufsichtsbehörden ebenso, wie von Marktbeobachtern, die eine zunehmende Marktverzerrung durch marktschädigende HFT-Strategien befürchten. Börsenanalyst Dirk Müller hält den Hochfrequenzhandel für eine überflüssige Erfindung der Neuzeit, denn „mit dieser Geschwindigkeit kann kein Mensch mithalten.“

Ins selbe Horn stößt auch Vermögensverwalter Georg von Wallwitz. Nach seinen Beobachtungen verdienen nur wenige Großhändler an den Börsenaktivitäten im Hochgeschwindigkeitsnetz: „Das ist Zockerei“, sagt von Wallwitz. Vor allem kritisiert der Geldexperte, dass bei automatisierten Entscheidungen im Millisekundenbereich keinerlei Einzelbewertung fundamentaler Daten der gehandelten Wertpapiere einfließen.

Bundesbanker Joachim Nagel geht davon aus, dass der Geschwindigkeitsvorteil algorithmisch veranlasster Handelsaktivitäten durchaus zu mehr Markteffizienz führen kann, sieht aber ebenso Nachteile: „In sehr volatilen Marktsituationen kann der Hochgeschwindigkeitshandel auch destabilisierend wirken“, warnt Nagel. Einziger Ausweg: Mehr Transparenz und neue Regeln im elektronischen Wertpapierhandel.

Vor allem exzessive Kursschwankungen, wie der so genannte Flash Crash im Mai 2010, entfacht immer neue Kritik am elektronischen Wellenreiten der High-tech-Händler. Damals sackte der Dow Jones innerhalb einer halben Stunde ohne Vorwarnung um 1000 Punkte ab. Finanzmarktexperten beschuldigten daraufhin Computerhändler des Investmentfonds Waddell & Reed Financial, durch sekundenschnelle Verkäufe großer Wertvolumina den Kurssturz mit ausgelöst zu haben.

Mehr Transparenz im ALgo-Trading

Seitdem herrscht Misstrauen bei Börsenaufsicht und Regulierer gegenüber den Renditejägern der HFT-Branche. Hintergrund für marktschädigende Einflüsse ist die sogenannte Quote Stuffing-Taktik, die von einigen HFT-Algorithmen verwendet wird. HFT-Händler versuchen durch eine große Zahl an Ordern, die sofort wieder anulliert werden, Kursbewegungen für ihr Arbitragegeschäft in Gang zu bringen. Die Scheinangebote erhöhen zwar die Marktliquidität spiegeln aber kein reales Handelsvolumen wieder.

Neue Gesetzesinitiativen, die eine stärkere Regulierung der Finanzmärkte ins Auge fassen, betreffen deshalb auch neue Standards für den Hochgeschwindigkeitshandel. So könnte eine längere Mindesthaltefrist für Börsenaufträge bei großvolumigen Quotes das sekundenschnelle Hin- und Herschieben von Wertpapieren unterbinden. Einen Schritt weiter gehen so genannte Circuit-Breaker, die den Handel in einem bestimmten Asset unterbrechen, falls die Kursschwankungen einen bestimmten Wert übersteigen. Mehr Transparenz könnten auch Trader-IDs schaffen, die jeder Marktorder zugeordnet sind und Aufschluß über die Händlerstrategie geben.

Ungeachtet drohender Regulierungen investiert die HFT-Branche weiter in den Elektronikhandel. Tony Verga, CEO des US-Providers HFT Technologies, setzt auf immer kürzere Latenzzeiten: „Wir haben erstmals zwei neue Appplikationen entwickelt, die alle Handelsoperationen unterhalb der Zehn-Millisekunden-Grenze ausführen“, unterstreicht Verga. In Zukunft erwarten HFT-Trader noch weitere Optimierungssprünge in Richtung Picosekunden-Übertragung. Vor allem wenn sie ihre Rechner gleich neben die so genannten Matching Engines in den Rechenzentren der Börsen platzieren dürfen.