FAQ Krise (6) – Hart gekocht, weich gespült

Flag of Maastricht

13.10.2012 – Kaum ein Tag vergeht an dem nicht neue Krisennachrichten die Runde machen. Ob der jetzt gestartete Stabilitätsmechanismus tatsächlich die internationale Finanzwelt durch seine schiere Größe beeindruckt sei dahingestellt. Ob es sich um das letzte Aufgebot oder einen Feuerlöscher mit Zuschalthebel handelt lässt sich schwer beantworten – jedenfalls ist das nicht Gegenstand des folgenden Gesprächs.

Rettungsschirm klingt beruhigend, ebenso versichern die ESM-Verantwortlichen, dass jetzt der Starke dem Schwachen die Hand reicht. Sind solche Metaphern eigentlich realistisch?

Nein, natürlich nicht. Es ist bekannt und wer will kann es überall nachlesen, daß die Krisenbewältigung in den EU-Staaten von deren Bevölkerung einen hohen Preis einfordert. Blickt man auf die Brennpunkte in Griechenland oder Spanien ist ein Verarmungsprogramm unterwegs, das dramatische Züge annimmt. Auch in den noch erfolgreichen EU-Staaten wird seit langem an der Einkommensschraube gedreht, um Produktivität und Wettbewerbskraft hoch zuhalten. Wohnungsnot und Altersarmut wird debattiert, der Niedriglohnsektor erfährt eine personelle Aufstockung ungeahnten Ausmaßes. Gleichzeitig stellen die Euro-Partner einen riesigen Geldsack hin und laden alle notleidenden Staaten ein, sich unter bestimmten Auflagen zu bedienen. Schon diese Tatsache lässt aufhorchen. Seltsamerweise schrecken die finanzschwachen Staaten vor einem Zugriff zurück, obwohl sie das Geld dringend gebrauchen könnten – ihre Bevölkerung übrigens auch, doch die marschiert in wachsenden Teilen geradewegs in die Verarmung.

Woran liegt das?

Das Öffnen der Geldschleusen ist nicht so gemeint, dass jeder kriegt, was er braucht. Nicht einmal die von Einnahme- und Zahlungsnot bedrohten Staaten. Im September beschloss der EZB-Rat ein Anleihekaufprogramm das praktisch keine Obergrenzen kennt, aber dem betroffenen Staat jede Menge Auflagen beschert. Zwar kauft die Zentralbank auch marode Staatspapiere – und erhöht damit die zirkulierende Geldmenge um eben diesen Betrag – schreibt aber dem Schuldner vor, wie er mit dem Geld zu wirtschaften hat. Das ist einerseits ein massiver Eingriff in die Haushaltssouveränität der Staaten, bedeutet aber auch in anderer Hinsicht nichts Gutes. Es regnet Geld und gleichzeitig beginnen in Athen und anderswo die Menschen geldfrei zu tauschen, um überhaupt noch an was ran zu kommen. Ganz offensichtlich zielt der freigesetzte Kredit auf etwas ganz anderes als Notlagen von der Bevölkerung abzuhalten. Die nimmt man ja geradezu in Kauf.

Das kann man aber auch ganz anders sehen, nämlich als Anstoß zur Haushaltssanierung und Wiederherstellung der nationalen Wettbewerbskraft …

Das sind die großen Überschriften, die ebenfalls so nett und vor allem einleuchtend klingen, hinter denen aber nichts anderes steckt, als der politische Wille zur gnadenlosen Durchsetzung der Gemeinschaftswährung. Zumindest sieht es im Moment so aus, als ob die führenden EU-Staaten nochmals den Versuch starten alle Euro-Verbindlichkeiten irgendwie in Kraft zu lassen also keinen Schuldenschnitt durchzuführen. Eine Gemeinschaftswährung hart wie Krupp-Stahl gewissermaßen. Das heißt freilich, dass Finanzhilfen an eben diese Bedingung geknüpft sind. EZB-Geld steht nicht frei zur Verfügung sondern steht unter dem Vorbehalt der Kontrolle. Der Geldfluss ist an ein Erfolgskriterium gebunden. Man kann das als Durchsetzung der Maastricht-Regeln – Defizitquote des Staatshaushalts von höchstens drei Prozent und Schuldenquote unterhalb 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts – ansehen, aber das bekommt derzeit ohnehin keiner hin. Was bleibt ist trotz massiver Finanzkrise die Einschwörung auf die Maastricht-Kriterien aller Euro-Staaten. Den meisten Staaten steht allerdings das Wasser bis zum Hals und das liegt sicherlich nicht an Strandparty und mediterranem Schlendrian.

Trotzdem hängt von einer stabilen Euro-Währung doch einiges ab. Lohnt sich für die EU-Staaten das Festhalten am Euro nicht mehr?

Witzigerweise sind es ja die Finanzmärkte, die gegen den Euro spekulieren und das Vertrauen in diese Währung in Frage stellen. Deshalb wird auch diesem Klientel der rote Teppich ausgerollt. Selbstverständlich nimmt jeder Politiker, Wirtschaftskolumnist oder Fernsehmoderator die Geldsorgen der Normalverdiener und die Existenzbedrohung weiter Bevölkerungskreise zur Kenntnis. Aber daran ändern lässt sich leider nichts. Jedenfalls nicht jetzt, während all die Maßnahmen zur Krisenbewältigung in Gang gesetzt werden und systemische Fragen der erfolgreichen Kreditbewirtschaftung auf der Agenda stehen. Wie lässt sich das Vertrauen der Investoren zurückgewinnen und neues Kapital anlocken, darüber zerbrechen sich Finanzminister den Kopf. Anders gesagt: Wie kann man den Euro wieder zum attraktiven Geschäftsobjekt machen. Um die Finanzmärkte zu beruhigen, lassen die Euro-Partner ihre gewaltigen Programme vom Stapel in der Hoffnung, dass sich potente Geldbesitzer beeindrucken lassen und wieder vermehrt in Anleihen engagieren und darüber die Refinanzierungskosten der Staatskassen sinken.

Und was ist mit Otto Normalverbraucher?

Der kommt in diesem Geschehen als Steuerzahler und Arbeitskraft vor. Mitunter erfährt er eine gewisse Wertschätzung als Familiengründer, Kaufkraft oder Wähler. Das klingt nach viel, könnte man meinen, aber so richtig berauschend ist das alles nicht, auch wenn der Steuerzahler ja gerne zum eigentlichen Subjekt all der Maßnahmen stilisiert wird. Man erinnert in aller Bescheidenheit gern daran, dass die staatlichen Soforthilfen und Milliardenbürgschaften zur Euro-Rettung letztlich Steuergelder sind. Folglich ist der Steuerzahler eigentlich der Geldgeber …

Der zahlt ja auch die Zeche …

Na ja, er leistet seinen Beitrag zum Erfolg des großen Ganzen. Man könnte auch sagen, er zockt mit am Leistungserfolg seiner Nation. Allerdings nicht ganz freiwillig. Wer seine Abgaben dem Finanzamt vorenthält bekommt Ärger, notfalls bis zum Gerichtsvollzieher. Außerdem gibt es praktisch nichts, was nicht mit irgendeiner Steuerart belegt wäre. Ich will damit sagen, Steuerboykott wegen falscher Ausgabenpolitik lässt die öffentliche Hand nicht durchgehen. Der Steuerzahler ist so ein allgemeines, blutleeres Subjekt wie das Geld, das er abdrückt oder die Spekulationsgeschäfte, die Banken damit machen. Trotzdem dreht sich alles um diese abstrakten Protagonisten.

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